Erstellt: Donnerstag, 01. September 2011 15:38

Neues aus Absurdistan

Lothar König weiter unter Verdacht

Nachdem die Arbeit der ErmittlerInnen wegen einer fragwürdigen Razzia in der Wohnung und in Diensträumen des Pfarrers Lothar König in Jena wieder einmal massiver öffentlicher Kritik ausgesetzt war, hat nun die Staatsanwaltschaft Dresden erklärt, dass die seit dem 7. Februar 2011 (!) andauernden Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen den Pfarrer vorerst eingestellt werden sollen. Dies geschieht nicht, weil sich die Staatsanwaltschaft einsichtig zeigt und die Vorwürfe für haltlos erklärt, sondern weil sie in einem Verfahren wegen aufwieglerischen Landfriedensbruch, Nötigung und Strafvereitelung, wie sie meint, eine höhere Strafe erwartet. Am Dienstag strahlte das ZDF Polit-Magazin ‚Frontal21‘ einen Beitrag über den Jenaer Pfarrer aus, in dem auch Videomaterial vom 19. Februar zu sehen war. Darin wird klar, dass der Pfarrer deeskalierend auf DemonstrantInnen einwirkt. Jan Hille, stellvertretender Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden, bekundet trotzdem öffentlich, dass Lothar König zu sechs Monaten Haft verurteilt wird. Damit macht er deutlich, wie die Dresdner Staatsanwaltschaft zur Neutralität, Unvoreingenommenheit, Gewaltenteilung und Unschuldsvermutung steht. Daneben diffamiert sie einen anerkannt engagierten ehemaligen DDR-Dissidenten, ohne Beweise vorzulegen. Mithin ist klar, dass die Ermittlungen gegen Pfarrer König wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung vor allem dazu dienten, anderes Belastungsmaterial zu finden. Der §129 gilt bei Kritikern bekanntlich als reiner Schnüffelparagraph.

 

Politische Verantwortung existiert in Sachsen nicht

Am 29.8.2011 wurde öffentlich bekannt, dass gegen den Anwalt André Schollbach, Fraktionsvorsitzender der Linken in Dresden, wegen Weitergabe eines Dokumentes ermittelt wird. Der Anwalt erfuhr davon nicht etwa offiziell von den Behörden, sondern wie viele andere Beschuldigte auch, aus der Presse. Dabei geht es um ein Schriftstück, das den Einsatz von IMSI-Catchern am 19. Februar belegt. Das sind Geräte, mit denen man Funkzellen simulieren kann. Dabei wird Mobiltelefonen durch den IMSI-Catcher ein Phantomnetz angeboten, in welches sie sich einloggen. So kann man Nummern des Anrufers und Angerufenen speichern, SMS samt Inhalten abfangen und Gespräche abhören. Im Juni hatte Sachsens Innenminister Markus Ulbig noch erklärt, dass solche Geräte nicht eingesetzt wurden. Danach musste er zugeben, die Unwahrheit gesagt zu haben. „Nach westdeutschen Maßstäben könnte das […] ein Rücktrittsgrund sein“, schrieb die Süddeutsche Zeitung am Montag. In Sachsen „nutzt man lieber die Gelegenheit, Kritiker ruhig zu stellen“, heißt es weiter. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft jedenfalls bezeichnet André Schollbach als „völlig absurd“. Für ihn „geht es dabei vor allem um Einschüchterung und Verunsicherung“. Warum die Staatsanwaltschaft ihn verfolgt, darüber lässt sich leicht spekulieren. Er vertritt die LINKE bei einem Verfahren bezüglich der gewaltvollen Razzia im „Haus der Begegnung“ am 19. Februar 2011 in Dresden. Dabei hatten SEK-Einheiten Büros zweier Vereine, eine Anwaltskanzlei, die Büroräume der Partei die LINKE in Dresden und eine Privatwohnung ohne gültigen Durchsuchungsbeschluss gestürmt, willkürlich Material beschlagnahmt und mehr als ein Dutzend Personen unter teils unwürdigen Bedingungen in Gewahrsam genommen. Nach einem ersten Beschluss des Dresdner Landgerichtes musste Sachsen bereits mehrere tausend Euro Schadenersatz für Reparaturkosten bezahlen, die durch die Zerstörungen der SEK-Einheiten entstanden waren.

 

Städtischer Strategiewechsel

Am Montag startete die Stadt Dresden in Person des Ordnungsbürgermeisters Detlef Sittel eine neue Charmeoffensive. Fehler im Vorfeld des 19. Februars wurden zugegeben. So hätte man den Gerichten zu wenig Zeit gelassen, den ausgerufenen polizeilichen Notstand als Begründung für ein Verbot der NPD-Demonstrationen zu prüfen. Doch an dieser Stelle endete bereits die Selbstkritik. Keine Rede vom aggressiven Vorgehen gegen zivilgesellschaftliche Aktionen und das Bündnis „Nazifrei! – Dresden stellt sich quer“ im Vorfeld des 13. Februars. Der Mahngang „Täterspuren“ zum Beispiel wurde verboten. Detlef Sittel verweigerte im Vorfeld des 13. Februars die Antwort auf intensive Nachfragen der Dresdner Bürgerschaft im Schauspielhaus, die das Vorgehen ohne Begründung nicht hinnehmen wollte. Der Mahngang wollte nationalsozialistisches Wirken in Dresden öffentlich darstellen, um dem Gedenken an die Zerstörung Dresdens seine geschichtsrevisionistischen Züge zu nehmen. Auch keine Rede von unmöglichen Auflagen und einem weitreichenden Trennungskonzept am 19. Februar selbst, dass Räume für einen angemessenen Protest schloss, anstatt sie zu öffnen, und damit maßgeblich zur Dramatisierung der Lage beitrug und ein aggressives Vorgehen der Polizei bereits in den frühen Morgenstunden geradezu erzwang. Jetzt geht man auf Kuschelkurs. Ein breiter Protest soll es sein, mindestens 50.000 DemonstrantInnen sollen gegen Nazis mobilisiert werden, am liebsten zu einer großen machtvollen, zentralen Kundgebung mit einem prominenten Redner. Über Proteste in Hör- und Sichtweite wird gesprochen. Wir fragen uns allerdings ernsthaft, wie die Stadt 50.000 Menschen mobilisieren will, nachdem Behörden und Staatsanwaltschaft mit Razzien, Handyschnüffeleien, Festnahmen, Verfahren gegen missliebige Anwälte, Pfarrer, PolitikerInnen und DemonstrantInnen für eine massive Einschüchterung gesorgt haben. Wer wird nach diesen Grundrechtsverletzungen noch den Mut aufbringen, sich gegen Nazis zu engagieren? Vorstellbar ist natürlich, dass die Stadt mit ihrem öffentlichen Engagement den TeilnehmerInnen quasi eine Rechtsschutzversicherung anbietet. Schließlich gab sich auch Herr Sittel alle Mühe, DemonstrantInnen in die Kategorien ‚gut‘ und ‚böse‘ zu unterteilen. Unklar blieb bei seinen Aussagen nur, ob die vielfach für ihr zivilgesellschaftliches Engagement gelobten BlockiererInnen für ihn jetzt gewalttätige Linksextremisten sind, oder nicht? Diese Frage jedenfalls hätte das Bündnis ‚Dresden Nazifrei‘ gerne noch beantwortet gesehen.

 

Linksammlung

Frontal21 - Bericht über Lothar König
http://www.youtube.com/watch?v=ClzdwaEDM6A&feature=player_embedded

Mehr Infos auf den Seiten der Jungen Gemeinde Jena Mitte: http://jg-stadtmitte.de/

 

Ermittlungen gegen André Schollbach:
http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=2849783

 

Detlef Sittel im Vorfeld des 13. Februars:
http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=2685554

 

Strategiewechsel der Stadt:
http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/SACHSEN/Dresden-zieht-Lehre-aus-Krawallen-bei-Februar-Demonstration-artikel7743492.php