Erstellt: Montag, 09. Februar 2015 15:11

Offener Brief an Joachim Gauck

Am 13. Februar wird Bundespräsident Joachim Gauck an den offiziellen Gedenkfeierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Bombardierung Dresdens teilnehmen. Das Bündnis Dresden Nazifrei hat einen offenen Brief an ihn verfasst, den man auch hier als PDF herunterladen kann.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Joachim Gauck,

wir wenden uns an Sie, der Sie Teilnehmer der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag des Bombardements auf Dresden am 13.02. 2015 sind. Im Rahmen des Protokolls werden Sie die Gelegenheit erhalten, das Wort zu ergreifen. Von Ihnen als Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland erwarten wir an diesem Tag zwei klare Bekenntnisse zu folgenden Punkten:

1. Sicher wissen Sie, dass der 13. Februar seit vielen Jahren immer wieder dazu genutzt wird, die Stadt und ihre Bewohner ausschließlich als Opfer des Krieges darzustellen. Trauermärsche der Nazis – bis 2009 Europas größter Naziaufmarsch –, öffentliches Gedenken, das Trauer zelebriert, ein Denkmal auf dem Heidefriedhof, bei dem die Bombardierung Dresdens in eine Reihe mit Coventry und Auschwitz gestellt wird: In keiner anderen deutschen Großstadt hat es eine derart gravierende Entwicklung gegeben wie in Dresden. Der in Dresden offiziell gepflegte Opfermythos lieferte und liefert den perfekten Nährboden für jegliche Veranstaltungen dieser Art. Die Stadt sprach nie gern darüber, dass die Garnisonsstadt Dresden ein wesentlicher Teil von Nazideutschland und keine unschuldige Kunst- und Kulturstadt war. Vergessen waren die Geschichte von Taten und Täter_innen, Rassenwahn und Antisemitismus, Denunziation und Verfolgung, Zwangsarbeit und Rüstungsproduktion. Erst mit dem seit 2011 jährlich stattfindenden Mahngang „Täterspuren“ haben wir, das Bündnis Dresden Nazifrei, gemeinsam mit tausenden Menschen die Forderung auf die Straße gebracht, dem Geschichtsrevisionismus in Dresden ein Ende zu bereiten. Unterwegs auf den Spuren der Täter_innen machen wir diesen Teil der Geschichte unserer Stadt sichtbar. Das wird auch am 13.02.2015 so sein.
Wir erwarten von Ihnen ein klares Bekenntnis zur Täterschaft der großen Mehrheit der Deutschen während des 2. Weltkriegs sowie zur Verantwortung auch der Dresdner_innen, diese Mittäterschaft aufzuarbeiten und sich zu ihr zu bekennen. Das schließt ebenso die Würdigung der Menschen, die aktiven Widerstand gegen das Naziregime geleistet haben, durch Sie ein. Weiterhin erwarten wir von Ihnen, ein Bekenntnis zur deutschen Schuld an Auschwitz nicht zu einer Begründung für neue deutsche Großmachtphantasien, Waffenexporte und Kriegseinsätze in aller Welt zu verdrehen. „Historische Verantwortung“ und die Verfolgung deutscher Eigeninteressen haben sich selten vertragen!

2. Wenn man sich zur deutschen Schuld bekennen will, ist es nicht damit getan, um die Toten zu trauern, es muss auch die Aufgabe aller sein, sich um die Lebenden zu kümmern. Es muss nicht nur eine ordentliche Opferrente für alle Opfer des Naziregimes geben, Deutschland muss auch seine finanziellen Verpflichtungen gegenüber Staaten wie Griechenland erfüllen, die während des zweiten Weltkriegs besetzt waren. Konsequent angegangen werden muss die juristische Verfolgung der in Deutschland noch lebenden Täter_innen. Auch der Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sollte aus unserer Sicht ganz oben auf der Agenda des Bundespräsidenten stehen. Antisemitische Einstellungen haben in Deutschland seit letztem Sommer enorm zugenommen und gerade hier in Dresden hat es „Pegida“ geschafft, das Klima derart zu vergiften, dass nicht nur der Hass auf tatsächliche und vermeintliche Geflüchtete zugenommen hat, auch tätliche Übergriffe sind offensichtlich kein Tabu mehr. Doch anstatt sich auf die Seite der Opfer von Hass und Gewalt zu stellen, bietet das politische Establishment in Sachsen rund um den CDU-Innenminister dieser neurechten Bewegung ein Podium, um ihre Ansichten zu verbreiten. Wir erwarten von Ihnen als Bundespräsidenten, dass Sie sich auf die Seite derer stellen, die von Verfolgung betroffen sind und den Versuchen der hiesigen CDU, rechtes Gedankengut zu normalisieren, klar widersprechen. Als Bundespräsident sollte Ihnen das Schicksal aller Menschen am Herzen liegen, die hier leben, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion oder anderer Merkmale. Die Verfassung, auf die Sie vereidigt sind, leitet sich von der Maxime ab, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Dieser Anspruch sollte deshalb auch Ihre Maxime sein, wenn Sie am 13. Februar vor die Mikrophone treten.

Vor diesem Hintergrund bitten wir Sie Ihren Auftritt und Ihre Rede in Dresden zu überdenken und Ihre Rede sorgfältig vorzubereiten. Der Kampf um eine Welt ohne Diskriminierung ist keine Bequemlichkeit, sondern harte Arbeit und erfordert Mut und Engagement.

Mit antifaschistischen Grüßen

Bündnis „Nazifrei! Dresden stellt sich quer“

Ein spektrenübergreifendes antifaschistisches Blockadebündnis